die to-do-liste des sterbens
über's pendeln zwischen leben und sterben und ob man dabei cool bleiben darf
seit sechs monaten poste ich jetzt hier fast wöchentlich einen text und ich spüre, wie gut es mir tut, wenn ich worte finde für sprachlos machende situationen, wenn ich durch’s schreiben themen in mir selbst bewegen kann, und dass es menschen gibt, die das interessiert. das ist ein tolles gefühl. meine neue lebenssituation bietet mir viel schreibmaterial und ich habe es mir zum ziel gemacht, die dinge trotz all ihrer schwere und traurigkeit leicht scheinen zu lassen, leicht verständlich und leichter erträglich. an manchen formulierungen hab ich lange rumgefeilt, um sie so locker wie möglich klingen zu lassen und diese formulierungen gingen dann auch in mein denken über. cool mit allem sein - definitiv schon immer eine sehnsucht und auch eine art orientierung in meinem leben.
exkurs zum thema cool: neulich saß ich mit meinen besten freunden aus abi-zeiten im auto - wie früher - und wir hörten die “wir kommen um uns zu beschweren” von tocotronic, nicht mehr ganz so laut wie früher. als alte toco-fans können wir die texte auch nach jahren noch im schlaf und wir haben laut mitgesungen - wieder wie früher. wir waren aber überrascht, dass wir die texte auf einmal nicht mehr so ganz verstanden haben. die texte, die genau weil sie so kryptisch waren, extrem cool waren in meiner wahrnehmung der welt als 17jährige. wenn man mit diesen texten was anfangen, sie so richtig tief fühlen konnte, gehörte man für mich in die kategorie cool, ohne zweifel. mir ist’s nie gelungen, selbst kryptische dinge zu schreiben oder zu kreieren, aber in der kunst hat mich immer das angezogen, was gleichzeitig viel zu viel und andererseits keine bedeutung hatte. in der yoko ono ausstellung im gropius bau ist mir das wieder in erinnerung gerufen worden. coole frau!
als ich mich mit den zeitlosen reisen cool genug fühlte, teilte ich sie langsam über den engen freundeskreis hinaus. mini-schritt für mini-schritt stieg die zahl der leser*innen. mich erreichten liebe reaktionen per nachricht, mitfühlende mails im postfach, ein mal sogar ein blumenstrauß und ein päckchen als reaktion auf einen text. wow, mein thema und die art, wie ich darüber schreibe, erreichen und berühren jetzt andere. und so wurde der blog zur therapie, zur motivation und zu einer meiner schönsten zeitgestaltungen.

mit den themen war es manchmal so eine sache. ich will zum beispiel schon länger was cooles über den palliativ-status schreiben. am liebsten natürlich was revolutionäres, in dem ich bilder zerlege, in dem ich mit stereotypen aufräume, in dem ich was ganz besonderes daraus mache. aber seit wochen fliegen hier zig entwürfe in den papierkorb und ich komme nicht weiter. ich finde mal wieder keinen roten faden. und in genau diesen wochen wurde für mich der palliativ-status zur palliativ-realität. leider geht es mir zur zeit nicht gut und ich schreibe mal wieder in einem krankenhausbett. ich versuche meine notizen zu dem thema zu entwirren, um am liebsten auch hier einen guten punkt setzen zu können. was heißt es, eine palliative diagnose zu bekommen? mit welchen themen werden palliativpatient*innen konfrontiert? und gibt es irgendeine positive seite, aka irgendwas cooles daran?
“palliativ ist wie ein pendel zwischen leben und sterben und sie können jederzeit für sich entscheiden, wohin es ausschlägt.” hat mir die beraterin der berliner krebsgesellschaft gesagt. wieder einer dieser sätze die mir in der live-situation viel zu klebrig und konstruiert vorkamen, und dann aber doch hängenblieben und ein bild formten. damals (vor vier monaten) schlug mein pendel absolut richtung leben aus, ich wollte mich eigentlich um nichts kümmern, was mit sterben zu tun hat. ich habe mich auf die heldinnenreise begeben, die viele antreten, wenn der erste schock nach der diagnose überwunden ist und man sich im dschungel der unterstützung zurecht gefunden hat. heldinnentyp ‘ihr werdet schon sehen, von wegen unheilbar, ich werde einen ganz besonderen weg gehen.’ ich wollte die chemos locker wegstecken und ich hab mir vieles über die richtige ernährung für mich angelesen und über heiltees und nährstoffe und mit qi gong angefangen und hab das alles zu meiner priorität gemacht. einen wunderbaren text über genau diesen coolen umgang mit der krankheit hat mechthild lanfermann hier geschrieben. der hat mich wie schlingensief immer wieder inspiriert und mich geerdet, um nicht im krebs-heldinnen-epos unterzugehen.
dann hat plötzlich oma einen herzinfarkt, eine lungenentzündung und corona. sie liegt auf der intensivstation, es ist nicht klar, ob sie durchkommt, erst tagelang, mitllerweile wochenlang. das pendel schlägt plötzlich wie von einem magnet gezogen in richtung sterben aus und ich bin extrem überrascht, wie schlecht ich vorbereitet bin. ich weiß ja gar nichts! wie, wo, mit wem und mit was möchte oma sterben? wie, wo, mit wem und mit was möchte ich denn eigentlich sterben? ich scrolle mich durch sterbehilfevereine, bestattungsvorsorge, hospizrecherche, beratungstermine, an den schlappen tagen schau ich zumindest ein paar arte dokus über’s sterben. auf einmal bin ich in der sterbe-bubble gelandet und als die ersten berührungsängste überwunden sind, gewinne ich sicherheit auf dem terrain. und wer hätte das gedacht, hier auf dieser seite gibt’s auch einen heldinnenmythos, hier gibt’s auch möglichkeiten, richtig cool zu sein.
cool ist es wohl, seine dinge geregelt zu haben. attraktive hipstereske bestattungsunternehmen zeigen, wie es geht. riesige wunderschöne blumensträuße, wechselnde sprüche und themen in den schaufenstern und wunderbar aufgeräumte webseiten, die das gefühl von neuköllner cafés vermitteln, in denen ich so gern saß und tippte. es gibt workshops für sterbende und für trauernde, vom aufräumcoaching über urnen töpfern bis zur trauer-hour, es gibt für alle beteiligten und jede phase jede menge zu tun. vor allem sollte man sich einen bevorzugten ort zum sterben ausssuchen, also zu hause, auf einer palliativstation, im krankenhaus oder in einem hospiz und man könnte schon einiges an vorkehrungen für die eigene bestattung treffen. hinter fast jeder entscheidung tut sich eine neue riesige, erst mal wieder überfordernde landschaft an fragen auf, die es gilt, auseinanderzuklamüsern. ich sag’ euch, wenn das pendel richtung sterben ausschlägt, dann gibt es genau so viel überangebot wie im leben. wir können uns genau so viele und gute fragen über’s richtige sterben wie über’s richtige leben stellen. unterschiedlich sind nur die zeit und energie, die wir zum jeweiligen zeitpunkt zum beantworten haben.
für mich als sterbende sind die patientenverfügung und die vorsorgevollmacht das a und o, danach wird man überall ständig gefragt. darin stehen meine letzten wünsche, die krankenhaus und pflege in notfällen betreffen. für alle fragen über das medizinische hinaus, gibt es den anscheinend recht bekannten werteermittlungsbogen und sehr viel umfangreicher und mit noch mehr fragen, auf die man selbst erst mal nicht kommen würde, die spirituelle verfügung. seit meinen ersten berührungen mit dieser art von fragebögen, gibt es irgendeinen reflex in mir, sie eher überfliegen, als wirklich beantworten zu wollen. manche fragen kommen mir viel zu groß, manche viel zu banal vor, bei manchen fühle ich mich eingeschüchtert angesichts der masse an scheinbar noch zu erledigender dinge. und bei den meisten frage ich mich ehrlich gesagt ‘wtf, das sind doch genau die allergrößten fragen der menschheit, woher soll ich das plötzlich wissen?!’. und genau darin steckt anscheinend der grund für meine skepsis: in der überforderung.
als das pendel richtung sterben ging, ist kurz wieder stress in mein ansonsten ruhigeres leben eingezogen. als perfektionistin hatte ich plötzlich das gefühl, das ich ordentlich sterben will, dass alles schön sortiert, organisiert, vorbereitet sein sollte. und “alles” ist hier ein dehnbarer begriff, der durch checklisten und fragebögen von außen immer weiter wächst und wächst. die optimierungslust (oder -sucht) macht vor dem sterben nicht halt. wer zeit hat, sich auf’s eigene sterben vorzubereiten, kann tatsächlich in ein ähnliches hamsterrad geraten, wie sie im leben überall bereitstehen. es wird immer noch eine sache geben, die man noch schöner hinterlassen oder noch besser vorbereiten könnte. der wunsch danach, es den menschen, die bleiben, so einfach wie möglich zu machen, ist groß. und die gefahr, sich in to-do’s zu verzetteln, die nichts mit der gegenwart zu tun haben, auch. ich bin ganz zufrieden mit meiner ausbeute auf der leben-seite und jetzt auch zufrieden genug mit der auf der sterben-seite. ich hab die gespräche und fragen und gedanken rund um’s sterben und dem danach genossen und ich habe ich mir ein hospiz und einen friedhof ausgesucht. gute orte sind mir schon immer wichtig gewesen. ansonsten nichts, und das ist auch gut so. ich erlaube mir jetzt wieder, mich im hier und jetzt einzupendeln. from moment to moment, denn davon gibt’s im moment, trotz all der schwere und traurigkeit, auch immer wieder verdammt schöne!
und weil wir insgeheim eben doch alle fragebögen und checklisten lieben, hier eine spontane liste von
dingen, die ich gerade gern gefragt werden würde*:
nichts :) ich würde lieber zuhören und erfahren worüber ihr nachdenkt, wovor ihr angst habt, worauf ihr euch freut.
hast du lust, gemeinsam zu meditieren?
ich habe alte fotos mit, wollen die angucken?
diese übung soll beim atmen helfen, wollen wir die mal ausprobieren?
kann ich dir was vorlesen?
kann ich dir den song vorspielen, den ich schon die ganze woche höre?
*bitte nicht als konkreten auftrag missverstehen, sondern als ganz allgemeine inspiration für schwierige krankenbesuche.
habt eine schöne woche, ihr lieben, bis nächsten sonntag, eure cero ♡
my dear friend, I love the idea of enjoying something together, I’m sharing a playlist of (mostly) instrumental Indian classical music that I listen to often: https://open.spotify.com/playlist/2AWi4sU4dizt5DeVHfEIFO?si=b51dd25bf1a24a91&pt=e99a263469fb287301cdf99a9ba0e1be
<3